An keinem anderen Ort im burgenländisch - westungarischen Raum kann man derartig viele und höchst bemerkenswerte Relikte aus der Römerzeit bewundern wie in Ödenburg - Sopron.
Die Ansiedlung an dem seit der Bronzezeit wichtigen Mittelpunkt mehrerer Fernhandelswege dürfte schon bald nach der Eroberung erfolgt sein. Wie die Bezeichnung Scarabantia Iulia beweist, durften die ansässig gewordenen Römer noch in der Zeit des Tiberius (14 - 37 n. Chr.) das Bürgerrecht in Anspruch nehmen. Plinius bezeichnet die Stadt als Oppidum Scarabantia Iulia.
In Scarabantia kann man an Hand der Grabdenkmäler sehr schön beaobachten, wer die neuen Bewohner der Stadt waren. Neben den ausgedienten Soldaten sind es vor allem Vertreter italienischer Handelshäuser, die sich hier niederlassen. Die neuen Provinzen waren offenbar ein Eltorado für Freigelassene, die hier im Auftrag ihrer italienischen Stammhäuser Geschäfte aufbauen und Karriere machen konnten. Viele scheinen zu Reichtum und Ansehen gekommen zu sein. Beispiele wären etwa Hilarus, ein Freigelassener der Familie Sempronius, der aus Dalmatien stammte und 90 Jahre alt wurde, und seine Frau Sassa, die aus Dakien kam und 70 Jahre alt wurde. Das Grabmal wurde von ihrem Sohn Flaccus errichtet. Die Sempronier waren eine in Norditalien reich begüterte und sehr angesehene Familie. Sie schickten Hilarus offenbar nach Scarabantia, um hier Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Man findet in den Städten entlang der Bernsteinstraße auch Vertreter der Familien bzw. Firmen Barbius, Canius, Caesernius, Petronius, Sextilius. Viele Grabsteine aus Scarabantia und Umgebung tragen die Berufsbezeichnung "negotiator". Ein solcher war nicht bloß Händler, sondern Unternehmer im umfassenden Sinn, der auch Bankgeschäfte tätigte. Eine Inschrift berichtet über das Schicksal eines solchen Unternehmers aus Scarabantia: Lucius Atilius Saturninus, ein reich gewordener Freigelassener, von dem man außerdem weiß, daß er südlich der Stadt über ein Landgut verfügte, wurde während einer Geschäftsreise von Räubern ermordet und In Aquileia beigesetzt.
Veteranensiedlungen
Nicht nur die Stadt selbst, auch ihr Territorium wird schon in den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung von Römern besiedelt. Es waren zumeist altgediente Soldaten der in Carnuntum stationierten 15. Legion, die um die Stadt angesiedelt wurden. Sie bekamen den Grundbesitz wohl vom Staat als Teil ihrer Entlohnung zugeteilt. Leider weiß man nicht, ob dieser Grundbesitz aus enteigneten keltischen Gütern stammte oder ob er gekauft wurde. Jedenfalls liegen die Veteranenkolonien zumeist auf hervorragenden Böden entlang der Römerstraßen und kaum in abgelegeneren Landesteilen. Eine gut bekannte Kolonie von Veteranen einer Auxiliartruppe befand sich in Walbersdarf an der Wulka (heute zu Matterburg gehörend). Die Grabinschriften erwähnen mehrere, miteinander verwandte Familien. Die Familiengrabsteine von Tiberius Iulius Rufus und Petronius Rufus weisen besonders hohe Qualität auf. Sie sind aus Asmonter Marmor und wurden wahrscheinlich von aus Italien stammenden Steinmetzen gestaltet. Vermutlich waren diese als Wanderhandwerker unterwegs. Die Porträts der Verstorbenen sind offenbar nach dem tatsächlichen Aussehen und nicht schablonenhaft gestaltet.
Die Entwicklung der Stadt
Über das Aussehen der noch jungen Römerstadt Scarabantia ist wenig bekannt. Eines haben die Ausgrabungen aber doch gezeigt: Um die Mitte des 1. Jahrhunderts waren die Gebäude noch recht bescheiden, zum Großteil wohl in einheimischer Bauweise, also als Fachwerkbauten, errichtet. Es gibt aber auch schon in dieser Zeit Hinweise darauf, daß der Wohlstand zunahm. So wurde etwa schon Geschirr aus Terra Sigilata verwendet. Vor allem aber die Gräber beweisen das Vordringen der römischen Lebensweise: Die Urnen sind zum Teil höchst kostbare Glasurnen, beigeben wurden Geschirr, Lampen, Parfümfläschchen, aber auch kostbarer, in Aquileia gefertigter Geld- und Bernsteinschmuck.
Gegen Ende des 1. Jahrhunderts nahm die Stadt eine andere Gestalt an. Wahrscheinlich unter Kaiser Vespasian (69 - 79 ) erhielt Scarabantia den Rang eines Municipiums. Dies beweist eine in Savaria (Steinamanger) auf einem Altar gefundene Inschrift, die das "Municipium Flavium Augustum Scarbantia" erwähnt. Diese Rangerhöhung brachte der Siedlung erhebliche Vorteile. Die freien Einwohner hatten das Bürgerrecht, wurden - wenn sie Militärdienst leisten mußten - in die Legionen und nicht in die Auxiliartruppen einberufen und hatten außerdem Steuer- und Zollvorteile bei ihren Handelsgeschäften. Die Stadt nahm damit einen erheblichen Aufschwung, ihre Bürger wurden reicher. Immer häufiger stifteten sie im Verlauf des 2. Jahrhunderts öffentliche Gebäude und Altäre, wovon die gefundenen Inschriften künden. Auf dem Forum der Stadt wurden fünf dem Silvanus Augustus geweihte Altäre gefunden. Einen davon stiftete etwa der Decurio und Quaestor Tiberius Iulius Quintilianus anläßlich seiner Wahl zum Augur, einer hohen priesterlichen Funktion. Die Gebäude der Stadt wurden nun in Stein errichtet. Auf dem Forum der Stadt - bis heute der Hauptplatz Soprons - wurde der Tempel der kapitolinischen Trias errichtet. Daneben standen die basilica, die Gerichtshalle, und die curia, das Rathaus. Auch ein öffentliches Bad dürfte im Bereich des Forums gestanden haben.
Während des Markomannen- und Quadenkrieges wurde auch Scarbantia schwer mitgenommen. Eine starke Brandschicht bezeugt dies. Anscheinend wurde die Stadt in Brand gesteckt und vermutlich ein Teil der Bevölkerung verschleppt, wie es damals in vielen pannonischen Städten der Fall war. Während des Krieges gegen diese Germanenvölker hielt sich Kaiser Mark Aurel wiederholt auch in Scarabantia auf. Der Wiederaufbau dürfte relativ rasch erfolgt sein. Im Jahre 202, als Kaiser Septimius Severus den 10. Jahrestag seiner Kaiserkrönung in Carnuntum feierte, besuchte er auf dem Rückweg auch Scarabantia. Im 3. Jahrhundert wuchs die Stadt jedenfalls weit über die ursprünglichen Grenzen nach Osten und Norden. Zahlreiche neue Wohnhäuser und neue Tempel und Altäre wurden errichtet, etwa das Heiligtum der Nemesis auf dem Wienerberg und ein Heiligtum des Silvanus am Fuß des Kuruzenberges. Besonders interessant ist ein Gebäude am Südrand der Stadt, im Bereich des heutigen Szechenyi - Platzes. Dort lag - direkt an der gut gepflasterten Bernsteinstraße - ein Altar für Juppiter neben den Amtsräumen der Beneficiarii, der "Gendarmerie" oder "Straßenpolizei" der Römer - Soldaten, die für die Überwachung der Straße zuständig waren.
In eine neue und sehr interessante Phase trat Scarabantia zu Beginn des 4. Jahrhunderts ein, zu einer Zeit, als die Städte an der Grenze bereits im Niedergang begriffen waren. Offenbar spielte die Stadt als wichtiger militärischer Etappenort und als Handelsort eine wichtige Rolle. Sie lag an der damals immer wichtiger werdenden Nordwest - Südost - Querverbindung, die von Vinobona (Wien) über Savaria und von dort weiter nach Sopianae (Fünfkirchen, Pécs) und nach Sirmium führte. Die Stadt blühte in dieser Zeit erneut auf. Die Stadtmauer wurde erneuert, alte Gebäude erweitert und zahlreiche neue Gebäude errichtet. Einzelfunde weisen auf einen beträchtlichen Wohlstand in der Stadt hin. Aus dieser Zeit stammt auch ein neues großes Gräberfels an der Bernsteinstraße. Die Grabbeigaben lassen vereinzelt auf eine christliche Gemeinde schließen.
Die Notitia Dignitarum, eine Art römischer Amtskalender, erwähnt um 380 einen Tribunus Cohortis Caratensis. Es wird angenommen, daß hier ein Schreibfehler vorliegt und eigentlich Scarabantia gemeint ist. Das bedeutet, daß um diese Zeit eine kleine Militäreinheit in Scarabantia stationiert war. Dies war auch ratsam, denn vor allem nach der Schlacht von Adrianopel im Jahre 378 begannen für Pannonien wieder sehr unruhige Zeiten. Es gibt Hinweise, daß auch Scarabantia von der gotisch - hunnisch - alanischen Völkerkonföderation, deren Reitertrupps damals weit nach Westen vordrangen, angegriffen wurde. Nahezu alle Basteien wurden in dieser Zeit beschädigt und das nördliche Stadttor wurde zerstört. Eine Schicht aus Schlamm und Erde breitete sich etwa über das Pflaster des Forums. Die Stadt scheint also einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in einem eher schlechten Zustand gewesen zu sein. Die Lebensbeschreibung des Heiligen Quirinus berichtet, daß im Jahre 405 ein Teil der römischen Bevölkerung von Savaria nach Italien abzog und daß aich ihnen auch Bewohner Scarabantias angeschlossen hätten. Man kann vermuten, daß vor allem die reicheren Familien, denen es in Pannonien zu gefährlich wurde und die mit der Primitivisierung des Lebensstils sich nicht abfinden konnten, die desolate Stadt verließen. In dieser Zeit kommt es erneut zur Ansiedlung von Germanen. 396 erhalten die Markomannen der Königin Fritigil, eine bereits christianisierte Gruppe dieses Volkes, Wohnsitze an Leithagebirge und Neusiedlersee und wahrscheinlich auch in Scarabantia. Jedenfalls tauchen in den Fundschichten aus dieser Zeit verstärkt Keramiken auf, die für die Germanen charakteristisch sind. Die Stadt Scarabantia war also in der ersten Hälfze des 5. Jahrhunderts nicht im besten Zustand. Viele Gebäude wurden nicht wieder aufgebaut. Das große Juppiter - Heiligtum am Forum wurde zugemauert. Die neu errichteten Gebäude waren keine römischen Steinbauten, sondern Blockhäuser und Fachwerkbauten nach germanischer Sitte, auch innerhalb der Stadtmauern. Der Verfall wurde durch das große Erdbeben von 456 wahrscheinlich noch beschleunigt. Die Archäologen fanden mehrere Hinweise darauf. Der schlechte Zustand der Stadt überrascht wenig, man findet zahlreiche Parallelen in anderen Städten Pannoniens in dieser Zeit. Dann aber, gegen Ende des 5. Und zu Beginn des 6. Jahrhunderts, kommt es zu einer höchst erstaunlichen Entwicklung, die auch die Archäologen sehr erstaunt hat. Das Festungssystem wurde erneut ausgebessert, die Mauern verstärkt, die Toranlagen wurden umgebaut. Auf den Umgängen an der Innenseite der Mauer wurden zahlreiche Hütten und Werkstätten errichtet. Die Wirtschaft der dicht besiedelten Stadt scheint erneut gebküht zu haben. Besonders überraschend ist, daß nun auch wieder Steinbauten errichtet wurden, mit Ziegeldächern und Heizanlagen. Das ist für Pannonien im 6. Jahrhundert, mitten in der "Völkerwanderungszeit", überaus erstaunlich. Viele ältere Gebäude wurden nun als Vorratsspeicher genutzt. Der Handel mit Italien scheint noch immer funktioniert zu haben, zahlreiche Importgüter, vor allem Metall- und Glaswaren, sind nachgewiesen. Die Bevölkerung war snscheinend wohlhabend genug, um sich diese Güter noch leisten zu können.
Ein beträchtlicher Teil der Bewohner der Stadt und des Umlandes waren in dieser Zeit germanische Heruler (Eruler). Vermutlich war Scarabantia in dieser Zeit das Zentrum ihres Volkes. Ihre reiche Oberschicht konnte sich die Steinhäuser nach römischer Sitte und auch die Luxuswaren leisten. Das beweisen die reich ausgestatten Fürstengräber von Heiligenstein (Hegykö). Sie waren wahrscheinlich für diese außergewöhnliche Spätblüte der städtisch - römischen Kultur in Scarabantia verantwortlich, sie boten vermutlich auch einer größeren Zahl von romanischer Bevölkerung in der Stadt Schutz. Vielleicht kam es sogar zur Umsiedlung romanischer Gruppen aus anderen Städten Pannoniens.
In diese Zeit fallen auch deutliche Hinweise auf christliche Gemeinden in Scarabantia. Östlich an die Stadtmauer anschließend wurde eine dreischiffige, 12 m lange Kirche gebaut. Es war dies ein Fachwerkbau auf Steinfundamenten. Scarabantia hatte in dieser Zeit auch einen Bischof. 572 und nochmals zwischen 577 und 579 unterschrieb ein Vigilius Scaravaciensis die Abschlußdokumente der Synode von Grado. Beide Synoden waren einberufen worden, um das Problem der Dreifaltigkeit zu diskutieren. In der Forschung ist freilich umstritten, ob Vigilius zu dieser Zeit wirklich noch in Scrabantia wirkte oder ob er mit den Langobarden und Herulern nach Italien abgezogen war.
Alle diese Fakten, die archäologischen Befunde, die ein noch immer funktionierendes städtisches Leben, eine dichte Bevölkerung, die Fortsetzung der Handelsbeziehungen und die Existenz einer christlichen Gemeinde unter einem eigenen Bischof mitten in den "Wirren" der Völkerwanderungszeit ergeben jedenfalls ein Bild, das mit den früheren Vorstellungen von einer weitgehend verwüsteten, verödeten, menschenleeren Provinz Pannonien nichts gemein hat. Natürlich hat das Ende der römischen Verwaltung und Staatlichkeit ihre Spuren hinterlassen, das Leben ging aber weiter. Bevorzugte Plätze wie Scarabantia - Ödenburg - Sopron bleiben eben nicht unbesiedelt.
Dies gilt wahrscheinlich auch für die folgende Epoche, die Zeit der awarischen Herrschaft
Allerdings war der Einschnitt gegen Ende des 6. Jahrhunderts, nach dem Abzug der Langobarden und Heruler, weit stärker. Das zeigt sich im archäologischen Befund eindeutig. Vieles weist auf eine gewaltsame Zerstörung der Stadt hin: eine dicke Brandschicht, große Mengen an verbrannten Lebensmitteln, Geschirr, Schmuck, Waffen unter den Trümmern der eingestürzten Häuser, das Geschirr manchmal noch auf der Herdstelle stehend . . . Alles weist auf ein sehr plötzliches und gewaltsames Ende der Stadt hin. Die Vermutung liegt nahe, daß sie von den Awaren erobert wurde, die Bevölkerung floh oder verschleppt wurde. Aber auch die Awarenherrschaft ermöglichte das Weiterleben von romanischen und germanischen Bevölkerungsgruppen. Dies weiß man aus vielen Beispielen. In Scrabantia - Ödenburg fehlen bis jetzt konkrete Belege.