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Bericht der Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf an die Burgenländische Landesregierung vom 26.7. 1927 LA III, Zl. 22/6-V

"Die Erziehungspolitik der Zigeuner wird wahrscheinlich in diesen jetzigen Methoden, wo durchwegs die Zigeuner jeder Gemeinde in einer Siedlung (Hüttenlager) beisammen wohnen, zu keiner Besserung führen. Wenn schon aus den erwachsenen Zigeunern keine angenehmen Leute mehr gemacht werden können, so sollte dies bei den Kindern möglich sein.

Solange die Zigeuner haufenweise in ihrem niederen Milieu bleiben und dort die Kinder erziehen, wirkt sich ihr Faulenzen, Schmarotzen, die Unsauberkeit und ihr tierischer Instinkt auf die Kinder aus und die Kinderseelen werden schon in den ersten Jahren zu Zigeunerseelen verdorben, die Möglichkeit, aus den Kindern ehrbare Leute zu machen geht verloren und das Unwesen wird immer größer.

Es würde sich dieser Umstand bessern lassen, wenn die Zigeuner familienweise zerstreut in den Gemeinden wohnen könnten, zwischen den Bauern und Arbeitern leben würden, die Kinder würden sehen, dass sich die Leute durch Arbeit erhalten, dass sie Sauberkeit pflegen und sich kulturmäßig ernähren. Weiters würden sie einzeln nicht die Gelegenheit zur Durchführung der strafbaren Handlungen und zur Vernichtung der Spuren haben, die Umweltlage wäre eine viel günstigere für das Gedeihen von ehrsamen Leuten, zu welchen doch auch die Zigeuner noch gebracht werden müssen, wenn sie nicht zum Schrecken des Landes werden sollen. In dem Milieu, in dem sich derzeit viele Zigeunerlager mit ihren Insassen befinden, kann tatsächlich kein annehmbarer Mensch aufwachsen, leben und gedeihen. Auf diesem Gebiete gäbe es für die soziale Fürsorge eine große Tätigkeit."

Der Bericht zeigt exemplarisch, wie man in der Zwischenkriegszeit die Situation der Roma sah und welche Maßnahmen man damals zur Lösung der "Zigeunerfrage" ins Auge fasste.

Über die Zahl der vor 1938 im Burgenland lebenden Roma gibt es unterschiedliche Angaben. In der Volkszählung von 1934 wurden 6 507 "Zigeuner" registriert, das waren 92,8 % aller in Österreich lebenden Roma. Eine Erhebung der Gendarmerie 1933 ergab 7 153 und eine Zählung bereits unter nationalsozialistischer Herrschaft ergab 8000 "Zigeuner". 1936 wurde im Auftrag des Bundeskanzleramtes von der Landeshauptmannschaft eine Übersicht erstellt, die nach der Bezirksaufstellung 7612, nach der gemeindeweisen Erfassung in der Summe 7 871 "Zigeuner" ergab. Das waren 2,6 % der Bevölkerung des Landes, wobei der Anteil im Bezirk Oberwart mit 6,9 % und in Jennersdorf mit 4,5 % besonders hoch war, im Bezirk Neusiedl mit 0,9 % am niedrigsten. Über 50 % betrug der Anteil der Romabevölkerung im Jahre 1936 in Holzschlag (52,5 %), Schreibersdorf (50 %) und Kleinbachselten (51,9 %).  Über 25 % lag er in Grodnau (40,7 %), Neustift an der Lafnitz (29,4 %), Aschau (29,1 %), Althodis (27,9 %) und Stadtschlaining (29,4 %). Größere Anteile an der Bevölkerung (über 10 %) hatten die Roma in Langental/Nebersdorf, Buchschachen, Unterwart, Bernstein, Unterschützen, Loipersdorf, Deutsch Kaltenbrunn, Königsdorf und Dobersdorf.

Die burgenländischen Roma waren überwiegend sesshaft. Ihre Hütten standen geschlossen, vom übrigen Ort abgesondert, am Ortsrand. Sie beschäftigten sich unter anderem  als Kesselflicker, Korbmacher, Schirmmacher, Viehhändler, Hilfsarbeiter und Musikanten. Die Arbeitslosigkeit war sehr hoch und stieg noch im Gefolge der Weltwirtschaftskrise. Vereinzelt hatten Roma auch Grundbesitz, etwa in Jabing oder in Unterwart.

Schon in der Ersten Republik und im Ständestaat wuchs die Ablehnung gegenüber den Roma. In einigen Gemeinden sah man in ihnen eine große Belastung, vor allem wegen der Krankenhauskosten, die aus der Gemeindekasse bezahlt werden mussten. Es wurden vermehrt polizeiliche Maßnahmen getroffen. 1928 wurde im Bundespolizeikommissariat Eisenstadt eine "Zigeunerkartei" angelegt und von allen Personen über 14 Jahren Fingerabdrucke genommen. 1935 wurde eine "Internationale Zentralstelle zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" bei der Bundespolizeidirektion Wien eingerichtet. "Zigeuner" wurden also vornehmlich als asozial und als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gesehen.

Ein großes Problem waren die Fürsorgekosten, die den Gemeinden aus der wachsenden Romabevölkerung erwuchsen. Das Recht auf Armenversorgung war mit dem Heimatrecht verbunden. Das Heimatrecht erhielt eine Person durch Geburt, wenn der Vater oder bei unehelichen Geburten die Mutter ein Heimatrecht hatten. Es konnte auch nach einem zehnjährigen tadellosen Aufenthalt verliehen werden (Steuerzahlung, "gute Sittenführung und staatsbürgerliches Betragen"). Das Heimatrecht wurde durch einen Gemeinderatsbeschluss vergeben. Eine Heimatrechtsgebühr musste bezahlt werden. Anträge auf Verleihung des Heimatrechtes wurden aus Angst vor Armenfürsorgekosten oft abgelehnt. Wenn Beschwerde gegen eine Ablehnung eingelegt wurde mussten die Landesbehörden entscheiden. Viele Roma, besonders die Lowara, die erst im späten 19. Jahrhundert nach Westungarn gelommen waren, hatten oft keinen festen Wohnsitz und konnten keine Abstammungs- und Beschäftigungsnachweise erbringen und wurden daher abgewiesen.

Das Armenfürsorgegesetz aus der Monarchie wurde von der Republik Österreich übernommen. In erster Linie waren also die Gemeinden für die Armenvorsorge zuständig. Die Gemeindeverwaltung überprüfte die soziale Bedürftigkeit der Antragsteller. Die Gesuche wurden häufig abgelehnt, da die Gemeinden große finanzielle Probleme hatten. Im Dringlichkeitsfall mussten auch auswärtige Arme versorgt werden. Danach konnte bei der zuständigen Heimatgemeinde Regressanspruch gestellt werden. Häufig erhielten die Gemeinden Regressforderungen von Kranken- und Heilanstalten, für medizinische Versorgung und Verpflegung von Patienten. Für die Krankenhäuser war es oft ein großes Problem, wenn Dokumente fehlten oder eine Gemeinde sich für nicht zuständig erklärte.

1922 wurden die Gemeinden aufgefordert, Wünsche und Anregungen zur "Bekämpfung des Wanderzigeunertums" vorzulegen. Diese Vorschläge gingen zumeist in Richtung Wegnahme der Kinder, deren Erziehung in ensprechenden Einrichtungen, bis hin zur Internierung in Lagern mit Zwangsarbeit. 1924 erhielten die Gemeinden die Anweisung, den Roma Grundstücke und Wohnungen zu überlassen. Es wurde ihnen meist auf Gemeindegrund, der anderwärtig nicht nutzbar war, meist deutlich außerhalb des verbauten Gemeindegbietes, Baugrund überlassen. So entstanden die "Zigeunerkolonien". Von den Gemeinden wurde den Landesbehörden immer wieder vorgeschlagen, die Roma zu "Notstandsarbeiten" heranzuziehen. Manche Gemeinden beschäftigten Roma als Viehhirten, Abdecker, Selkgrubenreiniger, zum Teil auch als Tagelöhner, etwa bei Straßenreparaturarbeiten.  Mit der Weltwirtschaftskrise verarmten auch die Roma immer mehr. Die Fürsorgekosten stiegen stark an und konnten in manchen Gemeinden nicht mehr aufgebracht werden. Das vermehrte die Vorurteile gegenüber den Roma.

Ein besonderes Problem, das die Öffentlichkeit immer wieder Beschäftigte, war die Einschulung der Romakinder. 1924/25 wurde in Stegersbach, wo eine große Romakolonie von 270 Personen bestand, die erste "Romaschule" Österreichs eingerichtet, zunächst als Teil der katholischen Volksschule. Ein Versuch der Koedukation scheiterte und 1929/30/31 wurde das Verlangen nach einer eigenen Anstalt für die Romakinder  - weit ab vom Volksschulgebäude - dringender. Ein Teil des Gemeindehauses wurde zur Verfügung gestellt und das Land leistete einen finanziellen Beitrag. Zu Schulbeginn 1931/32 wurde die "Zigeunerschule" eröffnet. 1934 wurde vom Unterrichtsministerium ein "Besonderer Lehrplan für Zigeunervolksschulen im Burgenland" erlassen. Das Experiment scheiterte jedoch schon bald. Der Schulbesuch durch die Romakinder war äußerst mangelhaft, obwohl die Kinder mit Schuhen ausgestattet wurden. 1936 kam der Schulstuhl zur Ansicht, dass eine Weiterführung nicht sinnvoll wäre. 1933 fand in Oberwart eine "Enquete über die Zigeunerfrage" statt. Die Mehrheit der Teilnehmer war für eine Zentralisierung, für eine Zwangssiedlung. Alle Kinder sollten ab dem zweiten Lebensjahr in neu zu schaffenden Erziehungsheimen untergebracht werden. 1938 wurde auch die Stegersbacher "Zigeunerschule" eingestellt.

 

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde eine Verordnung erlassen, wonach für alle "Zigeuner" Evidenzblätter mit Fingerabdrucken angelegt werden mussten. Nichtösterreichische Roma wurden ausgewiesen bzw. abgeschoben. Schon bald nach dem Anschluss wurden Roma aus Stegersbach von der Gestapo verhaftet und nach Dachau gebracht. Im Juni 1938 wurde Franz Horvath aus Redlschlag verhaftet. Er hatte sich zusammen mit anderen in einem Brief an die Reichsregierung über Diskriminierungen beschwert. Auch aus Oberwart wurden Roma nach erkennungsdienstlicher Behandlung den Polizeileitstellen zur Einweisung in Zwangslager überstellt.   In der Frage der rassischen Verfolgung war man zunächst unsicher, Im Reichsbürgergesetz und im Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes von 1935 waren die Roma zunächst nicht betroffen, durch Erlässe und Verordnungen aber wurde aus sicherheitspolizeilichen Gründen gegen sie vorgegangen. Im März 1939 wurde eine Absonderung vom deutschen Volkstum angeordnet. Auf Anforderung des Reichspolizeiamtes sollten bis 30. Juni 1939 2000 über 16 Jahre alte männliche und 1000 weibliche Roma im Alter von 15 bis 50 Jahren nach Dachau und Ravensbrück gebracht werden, da man dort Zwangsarbeiter benötigte. Am 1. Juni 1938 hatte Heydrich eine Aktion gegen "Asoziale" angeordnet. Eingeschlossen waren "Zigeuner und nach Zigeunerart umherziehende Personen, wenn sie keinen Willen zur geregelten Arbeitszeit zeigen oder straffällig geworden waren". Im Frauenlager Ravensbrück trafen am 29. Juni 1939 440 Frauen mit ihren Kindern aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ein.  Im Juli 1939 verfügte der Kommandeur der Gendarmerie Steiermark, mit der Erfassung der Zigeuner, Zigeunermischlinge und nach Zigeunerart umherziehenden Personen zu beginnen. Im August 1938 legte der burgenländische Landeshauptmann Dr. Portschy eine Denkschrift zur Zigeunerfrage vor. Er sprach sich für den Ausschluss der Roma vom Schulbesuch und vom Wehrdienst sowie gegen die Aufnahme in öffentlichen Krankenhäusern aus. Er schlug eine Verhinderung der Vermehrung der Zigeuner und die Errichtung von Arbeitslager vor. Im März 1938 wurde den Roma das Stimmrecht abgesprochen. Im August 1938 erging eine Verordnung, die es erlaubte, alle arbeitsfähigen Roma zur Zwangsarbeit in Steinbrüchen, im Straßenbau oder in der Landwirtschaft einzusetzen. Als Folge dieser Arbeitsverpflichtung wurden viele kleine Siedlungen aufgegeben und die Roma in größeren Siedlungen zusammen gezogen. Die Wohnstätten wurden abgebrochen. Aus Buchschachen wurden die Roma nach Markt Allhau, aus Kitzladen und Neustift nach Loipersdorf gebracht. In Grodnau wurden die Roma aus Aschau, Schreibersdorf und Wiesfleck konzentriert. Die neuen Sammelsiedlungen standen unter polizeilicher Überwachung. Das öffentliche Musizieren wurde ihnen verboten. 1941 untersagte ihnen der Landrat von Oberwart die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel mit Ausnahme der Eisenbahn. Schon der "Festsetzungserlass" von 1939 hatte ihnen ohnedies das Verlassen des Aufenthaltsortes verboten.

Im April 1940 begannen die Transporte nach Polen. Anfang November 1941 trafen in Lodz fünf Züge mit jeweils 1000 Roma aus Österreich und aus den Balkanländern ein, zwei davon kamen aus Lackenbach. Sie wurden in einem eigenen Lager, abgetrennt vom jüdischen Ghetto, untergebracht. Die Sterblichkeit unter den Roma war sehr hoch, vor allem nach Ausbruch einer Typhusepidemie. Von Weihnachten 1941 bis Jänner 1942 wurden die Roma in das Vernichtungslager Chelmno abtransportiert. Anfang 1943 wurde ein großes Zigeunerfamilienlager in Auschwitz - Birkenau errichtet., das bis August 1944 bestand. Von den rund 21 000 aus ganz Europa eingelieferten Roma starb etwa die Hälfte, über 6000 wurden in den Gaskammern getötet. etwa 3800 in andere Lager gebracht. Die Eintragungen in das "Hauptbuch des Zigeunerlagers Auschwitz" weisen viele Namen burgenländischer Roma auf.

Im November 1940 wurde das Zigeuneranhaltelager in Lackenbach errichtet. Es bestand bis Ende März 1945. Lackenbach war ein Durchgangslager, in dem Roma aus ganz Österreich vor ihrer Deportation zusammen gezogen wurden. Die Einweisungen setzten im April 1941 ein. Insgesamt wurden etwa 3200 bis 3300 Menschen nach Lackenbach gebracht. Höchststand war am 1, November 1941 mit 2 335 Personen, 1941 wurden in zwei Transporten je 1000 Personen nach Lodz/Litzmannsstadt abtransportiert. Im Dezember 1941 befanden sich nur mehr 631, im Jänner 1942 572 und im Feber 1942 642 Personen in Lager Lackenbach. Die Insassen waren in ehemaligen Ställen oder in ihren Wägen untergebracht. Im Lager brach eine Flecktyphusepidemie aus, der viele Insassen, aber auch der Lagerkommandant, zum Opfer fielen. Am 28. Dezember 1941 waren von 580 Personen 32 % als krank gemeldet. Den Krankheiten fielen vor allem Kinder und Alte zum Opfer. Sie wurden im Judenfriedhof von Lackenbach begraben.

Nach dem Ende des Krieges zeigte sich, dass im Bezirk Oberwart von den etwa 3000 Roma kaum 200 in ihre Wohnorte zurückkehrten.

 

 

 

 

Grafik / Karte

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Romasiedlungen 1933 nach Erhebungen der Gendarmerie.

 

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Quellen

  • Staudinger Eduard, Die Zigeuner im Burgenland 1938 - 1945. In: Burgenland 1945. Eisenstadt 1985. S. 149 - 164

  •  Brettl, Herbert, Wenn diese Zigeuner nicht abgeschoben werden, werden sie mit der Zeit alle hierorts heimatberechtigt werden. In:Die Volksgruppe der Roma und Sinti bis 1938. Schlaininger Gespräche 2014. Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 157

  •  Gober, Karl Heinz, "Leider ist der Erfolg gleich Null".Die Zigeunerschule in Stegersbach. In:Die Volksgruppe der Roma und Sinti bis 1938. Schlaininger Gespräche 2014. Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 157

  • Schranz, Erwin: Die Sprache der Burgenländischen Roma. Burgenländische Heimatblätter 2021, Heft 1 & 2, S. 15 - 2
  • Baumgartner, Gerhard: Burgenländische Roma 1921 bis 1945. In: Burgenland schreibt Geschichte 1921 - 2021. WAB 169. Eisenstadt 2021
 
 

 

 

 
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