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Das Toleranzpatent Josefs II. von 1781 ermöglichte erstmals nach einem Jahrhundert der Verfolgung ("babylonische Gefangenschaft der protestantischen Kirche") die Entstehung evangelischer Gemeinden und den Bau von Kirchen und Schulen. In der österreichischen Reichshälfte war dies ein tief reichender Einschnitt in der Geschichte des österreichischen Protestantismus. Im Königreich Ungarn hatten zumindest  viele evangelische Gemeinschaften die Zeit der Verfolgung überlebt und es wurde eine riesige Welle an Neugründungen von Kirchengemeinden ausgelöst.

Im Königreich Ungarn war die "Magnatenverschwörung" 1670/71 der Vorwand für eine unbegrenzte Verfolgungswelle, die in Westungarn vor allem von Leopold Kollonitsch, Bischof von Wr. Neustadt, später Erzbischof von Gran und Kardinal, vorangetrieben wurde. Der Widerstand der evangelischen Stände brachte dann am Ödenburger Landtag von 1681 zwar grundsätzlich die Religionsfreiheit und in den Artikeln 25 und 26 wurden den Evangelischen die "Artikularkirchen" zugestanden. Der Landtag von 1687 und die  "Explanatio Leopoldina" schränkten diese Zugeständnisse aber erheblich ein. Die "Resolutio Karolina" von 1731 wurden die Bestimmungen weiter verschärft - es wurde nur mehr ein "Privatexercitium" im engsten Familienkreis erlaubt, die evangelischen Prediger der katholischen Kirchenaufsicht unterstellt, Religionswechsel von der katholischen zur evangelischen Kirche strengstens bestraft, gemischte Ehen durften ausschließlich vor dem katholischen Pfarrer geschlossen werden usw. Weitere evangelische Kirchen und Schulen wurden geschlossen. Der "stillen Gegenreformation" fielen unter König  Karl III. (Kaiser Karl VI.) noch 140, unter Maria Theresia 192 evangelische Kirchen zum Opfer.

Das konfessionelle Bewusstsein war allerdings in jenen Gemeinden, die größere Gruppen von Evangelischen bewohnten, bereits so gefestigt, dass auch der Druck der Behörden und der Grundherrn nichts mehr ausrichtete. Das gilt vor allem für die Herrschaften der Batthyány im Südburgenland, wo die Gegenreformation später einsetzte und nicht mit der Radikalität wie in den Esterházyherrschaften durchgesetzt wurde. Auch der gelegentliche Gottesdienstbesuch in Preßburg, Ödenburg und in der Artikularkirche in Nemescso trug zum Überleben des evangelischen Glaubens bei. Der Besuch der artikularen Orte war freilich oft ein Sießrutenlauf durch katholische Orte. Für Taufen und Begräbnisse war weiterhin der katholische Ortspfarrer zuständig, erhielt die dafür vorgesehenen Abgaben,  er hielt jedoch  in den Matriken meist fest, wenn es sich um "Akatholische" handelte. Ehen wurden zumeist vor evangelischen Pfarrern in den Artikularorten geschlossen.

Die Visitationen des Archidiakons von Eisenburg 1797 und 1798  in einem Teil der Diözese Raab geben einen guten Einblick in die konfessionellen Verhältnisse auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes. In den 214 Ortschaften wohnten etwa 45 000 Personen, davon 13.056 Evangelische und 1.013 Reformierte. Es war also noch immer eine beachtliche Zahl von Menschen evangelischen Glaubens. Das evangelische Bekenntnis war "nicht so sehr durch persönliche Entscheidung als eher durch die Annahme des Tradierten und das Einfügen in einer Gruppe Gleichgesinnter gekennzeichnet". (Reingrabner, Ausstellungskatalog Oberschützen, S, 83). Zwar war sozialer Aufstieg durch Bildung, etwa durch ein Studium am evangelischen Lyceum in Ödenburg und anschließendem Studium an einer evangelischen Universität nicht ganz ausgeschlossen, doch war die Situation der Evangelischen durch Unsicherheit geprägt. "Es war immer noch mühsam, in vielen Fällen auch von Nachteil, sich zum Protestantismus zu bekennen". (ebendort).

In den letzten Regierungsjahren Maria Theresias nahm Josef II. zunehmend Einfluss auf die Religionspolitik. Er war durchaus ein gläubiger Katholik, hielt kirchliche Reformen aber für unbedingt erforderlich, im Interesse des Staates, nicht zuletzt aber auch im Interesse der katholischen Kirche. Aufklärung und Naturrechtsdenken, die Mündigkeit und prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen bildeten den geistigen Hintergrund. Josef II. und die durch den Josefinismus geprägten hohen Beamten wussten aber auch um die wirtschaftlichen Vorteile, die der Staat durch die begrenzte Religionsfreiheit erlangen konnte. Der Vorrang der katholischen Kirche stand aber nie im Zweifel. Noch 1782 erklärte Josef II. in einem Dekret, dass er es als seine treueste Pflicht ansehe, die Aufrechterhaltung, Zunahme und Verbreitung der "allein selig machenden katholischen Religion" zu erreichen.

Anders als in den österreichischen Erbländern traf das ungarische Toleranzpatent auf eine zumindest in Ansätzen vorhandene kirchliche Organisation. Zwar wurde auch in Ungarn das Patent überschwänglich gefeiert, aber bis heute weist die ungarische Geschichtsschreibung darauf hin, dass die bestehende staatsrechtliche Fundierung des Protestantismus nicht berücksichtigt wurde und dass auch durch das Toleranzpatent keine Gleichheit der Konfessionen erreicht wurde. Es gab also durchaus auch Enttäuschung und auch weitere Behinderung in der Umsetzung der zugestandenen Rechte. Dass die Reformen Josefs II. nicht vorbehaltlos akzeptiert wurden hatte auch andere Gründe, etwa die Besteuerung des Adels und vor allem die Bildungsreform, die die Einführung der deutschen Unterrichtssprache auch im Königreich Ungarn vorsah. Dagegen gab es bekanntlich heftige Proteste, vor allem auch von Seiten der magyarischen Protestanten. Der Generalinspektor der Lutheraner, Peter von Balogh, nahm sogar geheime Verhandlungen mit Preußen auf, die darauf zielten, Josef II. abzusetzen und anstatt seiner den Protestanten Karl August von Weimar zum ungarischen König zu wählen. Diese Aktion war aber völlig unrealistisch. (Ausstellungskatalog Josef II.: Gutkas, Josef II. und Ungarn. S. 105 ff.)

Das ungarische Toleranzpatent unterschied sich vom österreichischen, das am 13. Oktober 1781 erlassen wurde, in einigen Punkten. Am 25. Oktober 1781 erging die "Benigna Resolutio" des Kaisers an den Statthaltereirat. Dem waren umfangreiche Beratungen voran gegangen, in denen die Protestanten ihre Beschwerden vortragen konnten. Die ungarische Hofkanzlei leistete Widerstand, aber schließlich konnten die Evangelischen dem Kaiser ihre Vorstellungen mitteilen. Begründet wird die Resolution mit dem Nutzen für Kirche und Staat und mit der Schädlichkeit jedes Gewissenszwanges.

"Da Wir überzeugt sind, dass jeder Zwang, der dem Gewissen von Menschen Gewalt antut, äußerst schädlich ist, hingegen aus der echten Toleranz, wie sie der christlichen Liebe angemessen ist, sowohl für die Religion, wie auch für den Staat größter Nutzen erwächst, haben Wir beschlossen, diese in allen unseren Erbländern gesetzlich, also durch sichere Maßregeln zu verankern".

Das toleranzgemäße Verhalten wird mit aller Eindringlichkeit eingeschärft. Die Resolution regelte die Vorgangsweise bei der Gründung von evangelischen Gemeinden. Obwohl einige Komitatsverwaltungen Bedenken vorbrachten wurde das Mandat am 29. Oktober 1781 publiziert und eine deutsche Übersetzung gedruckt.

Das Toleranzpatent ermöglichte aber die Gründung zahlreicher evangelischer Gemeinden und deren Auf- und Ausbau in kürzester Zeit, auch wenn es für einige Jahre noch Einschränkungen im Kirchenbau gab (keine Türme, kein Eingang von der Straßenseite ...). Vor erscheinen des Edikts gab es 215 evangelische Muttergemeinden, bis 1800 stieg deren Zahl auf 758, mit den Filialen sogar auf 1740. In den ersten fünf Jahren stellte die Statthalterei 220 Kirchenbaugenehmigungen aus. Im Kirchendistrikt jenseits der Donau weihte der lutherische Superintendent Perlaky 76 neu erbaute Kirchen.  Die Oberaufsicht des katholischen Klerus fiel weg, bald entstanden zahlreiche Schulen. Überall dort, wo 100 nichtkatholische Familien vorhanden waren und die Mittel ausreichten, wurde der Bau von Bethäusern, Pfarrhäusern und Schulen erlaubt. Die Protestanten durften öffentliche Ämter übernehmen, akademische Würden erlangen, das Meisterrecht  usw. erhalten. Nur Verdienste, Fähigkeiten und ein frommer christlicher Lebenswandel waren Voraussetzung. "Katholische" Eidesformeln und der Zwang zur Teilnahme an katholischen kirchlichen Handlungen wurden untersagt. In der Mischehenfrage wurden die Reverse abgeschafft. Die Kinder eines katholischen Vaters sollten alle katholisch getauft wwerden, wenn der Vater nichtkatholisch, die Mutter aber katholisch war sollten die Knaben in der Religion des Vaters, die Mädchen in der der katholischen Mutter erzogen werden. Das Visitationsrecht der katholischen Kirche über die evangelischen Prediger wurde aufgehoben, die evangelischen Superintendenten hingegen durften ihre Gemeinden visitieren. Synoden der Evangelischen mussten genehmigt werden und es mussten zwei königliche Kommissare (ein katholischer und ein evangelischer) teilnehmen. Spott und Schmähungen gegenüber den Nichtkatholiken wurden mit einer Strafe bedroht.

Erst der Reichstag von 1791/92 - nach dem Tod von Josef II. - fügte die gewährte Toleranz in die staatsrechtlichen Grundlagen des Königreiches Ungarn ein : der Wiener Friede von 1606 und der Linzer Friede von 1645 mit den entsprechenden Gesetzen wurden erneuert und die Religionsfreiheit damit auf diese Gesetze gegründet. Alle Beschränkungen für den Kirchenbau und das Schulwesen wurden aufgehoben, alle Abgaben der Evangelischen an die katholische Kirche abgeschafft. Erst dadurch erlangte die evangelische Kirche ihre volle Autonomie und Freiheit. Einige Probleme aber blieben bestehen: die Frage des Übertritts, Trauung und Erziehung in Mischehen. Sie wurden erst im Artikel XX. des Landtages von 1848 endgültig geregelt und die vollständige Rechtsgleichheit hergestellt.

Die Einschränkungen bezüglich des Kirchenbaues wurden 1791 aufgehoben. Der Bau  vieler geplanter neuer  Kirchen scheiterte zunächst an deren Unfinanzierbarkeit, aber auch an administrativen Verzögerungen durch die Komitatsbehörden. Trotzdem wurden schon in den ersten 10 Jahren etwa 80 neue Kirchen, zum Teil durchaus anspruchsvoll und künstlerisch wertvoll im spätbarock - klassizistischen Stil gebaut.

Die endgültige Entscheidung über eine Gemeindebildung traf das Komitat, das lokale Erhebungen über die Zahl der Evangelischen und die wirtschaftlichen Möglichkeiten durchführte. Oft schlossen sich die Evangelischen mehrerer Dörfer zunächst zusammen. Schlaining etwa hatte 10 Filialen, Ausnahmen waren die kleinen Gemeinden Rust und Siget, die eigene Kirchengemeinden bildeten. Manchmal wurde ein Vertrag zwischen den beteiligten Orten geschlossen. Bei der Abgrenzung der neuen Pfarrgemeinden waren die betroffenen Dörfer und die Grundherrn oft unterschiedlicher Ansicht. Prib´nzipiell konnten die Filialen frei entscheiden, welcher Muttergemeinde sie sich anschlossen. Beauftragte der Gemeinden begannen mit der Sammlung und Verwaltung der Geldmittel. Von den Komitatsbehörden wurden die Vorlagen der Gemeinden geprüft und der Generalkongregation des Komítates vorgelegt. Diese erlaubte schließlich die Gründung. In vielen Fällen wurde diese Erlaubnis zunächst unter verschiedenen Vorwänden, meist wirtschaftlicher Art, verweigert. Die Gemeinden wandten sich dann an die Statthalterei oder direkt an den König. Für die Erlangung der amtlichen Erlaubnis fielen beträchtliche Kosten an.

Die neuen Pfarrer der Toleranzgemeinden stammten durchwegs aus West- und Oberungarn. Viele hatten ihre Ausbildung im Ödenburger Lyzeum erhalten und anschließend an einer deutschen Universität studiert. Mit ihnen kamen auch Einflüsse rationalistischer Theologie und aufklärerischen Denkens in das Land. Diese Pfarrer waren Anreger und Förderer vielfältiger kultureller Bestrebungen. Nicht immer stießen sie dabei auf die ungeteilte Zustimmung der Gemeinden. Die neuen Pfarrhäuser entsprachen der örtlichen Bautradition, wiesen aber manchmal auch Merkmale von "Herrschaftshäusern" auf. Immer aber waren Wirtschaftsgebäude dabei. In den Berufungsbriefen wurden die vom Pfarrer zu erbringenden Leistungen definiert, Vollzug der Gottesdienste und Amtshandlungen, Aufsicht über die Schule und Wahrung der Kirchenzucht.  Die Pfarrer erhielten ein festes Gehalt in Geld und Naturalabgaben, die Nutzung von Grundstücken  und Gebühren für die Amtshandlungen. Mischehen waren höchst selten und mussten bis 1842 vor einem katholischen Priester geschlossen werden. Die "Kirchenzucht" sah Strafen für unmoralisches Verhalten vor, etwa für "Erzeuger unehelicher Kinder". Das Strafgeld bekamen die Kinder später als Aussteuer oder als Lehrgeld. Öffentliche "Sünden" mussten vor der Gemeinde im Gottesdienst abgebeten werden.

Pfarrer und Schulmeister wurden von der Gemeinde gewählt oder besser ausgewählt, denn  in der Praxis erfolgte die Auswahl durch Vertrauensmänner. Mit der Bestellung eines Pfarrers erfolgte die Bestellung des Kantorlehrers. Einige Pfarrer brachten ihren Kantor mit. Die Kantorlehrer hatten unterschiedliche Ausbildung - ein nicht abgeschlossenes Studium oder sie waren Absolventen des Ödenburger Lyzeums. Manche hatten einen Kurs in einer Normalschule, die der Lehrerausbildung diente, absolviert. Um die Bewilligung einer Schule musste gesondert angesucht werden. Die Lehrer waren oft schlecht bezahlt (Geldbetrag, Naturalien, Grundstücke, Anteil an den Amtsgebühren des Pfarrers), die  Schulhäuser mit den Lehrerwohnungen unzulänglich ausgestattet. Trotzdem hatten die evangelischen Schulen erstaunliche Erfolge aufzuweisen. Der Anteil der Analphabeten sank rasch. Schulen wurden zunächst in den Muttergemeinden errichtet. In den kleineren Tochtergemeinden bestanden oft weiterhin die "Winkelschulen". Erst allmählich wurde auch das Filialschulwesen ausgebaut. Zum Teil durften die Lehrer in den Filialschulen auch kirchliche Handlungen vornehmen.

Die Verwaltung der Kirchengemeinden erfolgte durch einen für ein Jahr gewählten Kirchenvater. Dieser hatte in wichtigen Angelegenheiten den Konvent, die Gesamtheit der Familienväter, der Haus besitzenden Männer, heranzuziehen und zu befragen. In der Synode von Pest und Ofen 1793/1794 wurde die Einrichtung von Presbyterien beschlossen, mit dem Pfarrer und einem Kircheninspektor an der Spitze.  Jährlich musste Rechnung gelegt werden. Es gab keine Kirchenbeiträge, aber bestimmte Umlagen pro Haus, Sammlungen, Verkauf der Kirchensitze.

Das Gebiet des heutigen Burgenlandes gehörte zum Kirchendistrikt jenseits der Donau und zum Eisenburger, zum Ödenburger und Wieselburger Seniorat. Das Eisenburger Seniorat wurde später geteilt. Das Obereisenburger Seniorat entsprach etwa dem heutigen Südburgenland. Dem Kirchendistrikt stand ein Superintendent vor (ab 1884 trug der den Titel Bischof). Superintendenten waren bis 1785 Gabriel Perlaky, 1786 bis 1796 Samuel von Hrabowsky, 1797 bis 1812 Stephan von Nagy, 1812 - 1846 Johann von Kis (deutscher Prediger in Ödenburg), 1846 bis 1865 Mathias Haubner, der im Gefolge der Revolution von 1848/49 außer Dienst gestellt wurde. 1849 bis 1860 war Leopold Wohlmuth Superintendentenamtsverweser. Die Senioren wurden von den Pfarrern  bzw. den Senioratskonventen gewählt.


 

 

 

 

Grafik / Karte

Toleranzgemeinden 
Gründung der evangelischen Gemeinden.

 

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Quellen

  • Fabiny, Tibor: Die Bedeutung des Toleranzpatentes Josefs II. für die Protestanten Ungarns. In: Evangelisch im Burgenland. "100 Jahre Toleranzpatent. Ausstellungskatalog Oberschützen 1981
  • Reingrabner, Gustav: Die Gewährung der Duldung. In: Evangelisch im Burgenland. "100 Jahre Toleranzpatent. Ausstellungskatalog Oberschützen 1981
 
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