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Am 21. März 1919 übernahmen in Budapest die Kommunisten und die mit ihnen verbündeten Sozialisten handstreichartig die Macht. Die beiden Parteien wurden bald darauf zu einer Einheitspartei zusammengeschlossen. Sie errichteten eine "Räterepublik" nach sowjetischem Vorbild. Schon am nächsten Tag einigten sich auch in Ödenburg Sozialisten und Kommunisten und bildeten gemeinsam ein fünfköpfiges Direktorium, dem Berczeller, Knapp, Fischl, Farago und Entzbruder angehörten. In den Dörfern freilich, in denen es kaum Kommunisten gab, verlief dieser "Umsturz" meist ruhiger. Dort, wo die Sozialdemokratie schon Fuß gefasst hatte, arbeitete sie mit dem Regime zusammen, allerdings bald mit wachsendem Widerwillen.

Die Frage des Anschlusses Westungarns an Österreich wurde nun in Wien vor allem von den Sozialdemokraten in einem neuen Licht gesehen. Man hielt sich zurück, denn nun waren ja die politischen Freunde in Budapest am Ruder. Außerdem waren die Räte bereit, den Deutschen weitgehende Autonomie zu gewähren. Manche  glaubten, nunmehr in Ungarn die "fortschrittlichere" Heimat zu haben. Josef Peck, Arbeiterführer aus dem Komitat Wieselburg, sagte vor dem deutschen Gaurat in Ödenburg:

"Wenn man uns nach Deutsch - Österreich hinüber schieben könnte, würde all das, wofür die Internationale seit Jahrzehnten schwere Kämpfe geführt hat, nämlich den Menschen ein glückliches Heim, ein Paradies auf Erden zu schaffen, verloren gehen. . .

Jetzt, da wir unser Ideal erreicht haben, müssen wir es sichern, und das können wir nur, wenn wir im Rahmen des kommunistischen Ungarn bleiben. Wir können uns nicht anschließen an ein Reich, wo das soziale Denken noch nicht so weit vorgeschritten ist, dass es uns auch nur den Weg weisen könnte für eine glücklichere Zukunft. Die Internationale allein ist befähigt, uns all das zu bieten, was uns als Endziel vorschwebt."

zitiert nach: Um Freiheit und Brot. Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945. Eisenstadt 1984, S.33

Die österreichischen Sozialisten unterstützten die ungarische Räteregierung, eine Tatsache, die dem Ansehen Österreichs in der bäuerlichen Bevölkerung Westungarns ungeheuer geschadet hat. Noch im März veranstalteten sie in Wiener Neustadt eine Solidaritätskundgebung und vereinbarten die enge Zusammenarbeit mit den Ödenburger Räten. Die Grenze wurde geöffnet - auch für Waffen und Munition.

Als bekannt wurde, dass die Pariser Friedenskonferenz Deutsch - Westungarn Österreich zusprechen wolle, protestierte die Sozialistische Partei Deutschwestungarns in einem Aufruf heftigst. (Text)

Die neue Regierung erließ schon wenige Tage nach ihrer Machtübernahme eine Flut von Verordnungen, die allerdings nicht immer ernst genommen wurden. Der Großgrundbesitz wurde ohne Entschädigung beschlagnahmt, Industrieunternehmen, Banken, Versicherungen, Bergwerke, Mietshäuser, Apotheken und Schulen wurden verstaatlicht. Alle "Klassenfeinde" wurden aus dem Staats- und Schuldienst entlassen. Tatsächlich beschränkten sich die meisten Maßnahmen zunächst auf die Einsetzung von Kimmissionen, die mehr redeten als dass sie tatsächlich in der Lage gewesen wären, diese Gesetze durchzuführen. Das gilt besonders für Westungarn.

In den Dörfern wurden "Direktorien" aus drei Personen gebildet. Es waren dies meist Sozialdemokraten, denn Kommunisten gab es nur in wenigen Orten. Es überwogen die Handwerker, im Norden des Landes auch die Industriearbeiter. Als Beispiel für die Zusammensetzung sei Güssing genannt. Dem Direktorium gehörten drei Handwerker an. Einem Stimmzettel für die "Wahl"  kann man  die Berufe der dort aufscheinenden Kandidaten entnehmen: 3 Soldaten. 2 Bauern, 1 Schmied, 1 Bremser (Eisenbahner), 1 Advokat, 2 Arbeiter, 1 Lebzelter, 1 Bäcker, 1 Wagner, 1 Tierarzt, 1 Sparkassenbeamter, 1 Landarbeiter, 1 Schuhmacher, 2 Maschinenführer, 1 Platzmeister. Einige dieser 20 Personen  waren durchaus später angesehen, "bürgerlich anmutende Elemente", wie es in der Festschrift Stadterhebung Güssing 1973, heißt. Bezirkskommissar in Güssing war der Volksschullehrer Eduard Hafner aus Tobaj. Geradezu kurios war das Verhalten der Menschen im kleinen Ort Hasendorf, die sich schlicht weigerten, ein "Direktorium einzusetzen - trotz massiver Gewaltandrohung.

Ab 28. März 1919 war es jedoch mit der eher beschaulichen westungarischen Variante der "Volksfront" vorbei. Sandor Kellner traf als "Bevollmächtigter Volkskommissär mit diktatorischer Gewalt für Stadt und Komitat Ödenburg" ein und begann sofort mit der "Diktatur des Proletariates ..." :

"Die Macht halten wir in Händen ... Die Diktatur ist nicht unser Hauptziel. Übergangsweise können wir ihrer jedoch nicht entbehren. Wir haben die Rohstoffe, fertigen Waren und Lebensmittel beschlagnahmt. Die Großbetriebe werden wir kommunisieren. Die Kleinbetriebe werden vorderhand belassen ... Der freie Handel wird ausgeschaltet, denn den Handel wird der Staat übernehmen. Der freie Handel erwies sich ja als Erpressung und Raub... Wahlrecht wird nur jenem zustehen, der arbeitet. Die Bauernräte werden nur aus solchen zusammengesetzt, die keinen eigenen Boden haben. Die Mittelgrundeigentümer haben keinen Platz in diesen Räten... Die Produktion werden Produktionsgenossenschaften leiten. Auch die Polizei wird einer Sichtung unterliegen. Männer, die dem alten Regime mit Leib und Seele ergeben waren, werden entfernt ... Das Erscheinen klerikaler Blätter wird eingestellt ... Nur dem Proletarier steht die Autonomie zu, der früher besitzenden Klasse keine ... Museen und Kirchengüter werden unter Sperre genommen ..."

Zitiert nach: Landestopographie, Bd. III/1, Bezirk Mattersburg

Radikaler und dümmer hätte man in unserem Land, einem Land der kleinen Grundbesitzer, in dem selbst die Arbeiter bestrebt waren, einige Felder zu erwerben, nicht agitieren können. Man hätte wohl über Kellner und seinen Bolschewismus wohl auch gelacht, aber seine Forderungen blieben nicht auf dem Papier. "Volksbeauftragte" erschienen in den Dörfern und installierten "Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte". Die "gestandenen" Sozialdemokraten in den Dörfern wie zum Beispiel der tapfere Hans Suchard in Mattersburg wehrten sich nach Kräften gegen die "mit Ringen geschmückten" Kommissare, die offenbar alles andere als "echte Proletarier" waren. Sie wiesen auch darauf hin, daß dadurch der Antisemitismus geschürt würde, denn viele Kommunisten waren jüdischer Herkunft. Auch wenn man die "Diktatur des Proletariats" nicht sehr ernst nahm und die Verordnungen aus Budapest und Ödenburg unterlief wo man nur konnte - es blieb doch eine tiefe Kluft zurück. Der sozialökonomische Wandel, der das Gewicht vor allem im Norden des Landes zunehmend zugunsten der nichtbäuerlichen Bevölkerungsgruppen verschob, war bisher durch die räumliche und verwandtschaftliche Nähe im Dorf gemildert worden. Nun erst wurde in manchen Orten ein Keil zwischen "Bauern" und "Arbeitern" getrieben. Die Schüsse von Schattendorf könnte man unter anderem als eine Spätfolge dieser Ereignisse sehen, war doch der spätere Schutzbundführer Thomas Preschitz in der Rätezeit Vizepräsident des berüchtigten "Revolutionstribunals".

Gewiss hatte die Räteregierung auch eine Fülle zukunftsweisender Ideen wie Achtstunden-Tag, Mutterschutz, kostenlose Schulbildung. Aber diese Ziele wurden nicht umgesetzt. Anderes hingegen hinterließ nur Hass und Verbitterung: Verstaatlichung von Betrieben, Banken, Häusern, Beschlagnahme des kirchlichen Vermögens, Einführung eines Alkoholverbotes ... Der Großgrundbesitz wurde zwar enteignet, nicht aber - wie viele Klein- und Kleinstbauern hofften - aufgeteilt, sondern in "Genossenschaften" umgewandelt, tatsächlich aber den "Produktionskommissaren" unterstellt. Die Bauern weigerten sich, ihre Produkte "abzuliefern", nahmen das "Geld" der Räteregierung (einseitig bedruckte Zettel) nicht an. Die "Räte" reagierten so wie die russischen Bolschewiken: "Sonderbeauftragte" plünderten mit Unterstützung von "Roten Garden" die Dörfer aus...

Der Journalist und "Schriftsteller" Joseph Roth, der sehr viel Sympathie für die "Räteregierung" hatte, musste feststellen: " Der Kommunismus fand gerade in Deutsch-Westungarn am spätesten Eingang., und der zähe Konservativismus der westungarischen Bauernschädel machte der Budapester Räteregierung mehr zu schaffen als die politischen Umtriebe der gestürzten Magnaten und Junker ... Der Terror der in der Gegend herumvagabundierenden Räuber, die die Organisation der 'Leninbuben' bildeten, die ewigen Requisitionen, Alkohol- und Tanzverbote der Räteregierung, nicht zum geringsten Teil auch ihre Geldmisswirtschaft erweckten in den Bauern das Verlangen, Ungarn Lebewohl zu sagen und den Anschluss an das sprach- und stammverwandte Deutsch - Österreich zu suchen. selbst die magyarischen Bauern Westungarns antworteten, als man ihnen vorhielt, dass sie der deutsch - österreichischen   Regierung die gesamten Viehbestände würden ausliefern müssen, dass sie lieber den Österreichern ihre Kühe als an Bela Kun ihren gesamten Besitz geben wollten."

zitiert nach: Landestopographie III/1, Bez. Mattersburg und nach Um Freiheit und Brot.

Ab April 1919 musste die Grenze an der Leitha gesperrt werden - auf Druck der Entente, die eine Blockade über Ungarn verhängt hatte. Außerdem wollte Österreich im Krieg, der zwischen Ungarn und der Tschechoslowakei ausgebrochen war, neutral bleiben. Mit der Grenzsperre wurden zwar endlich die Waffentransporte nach Ungarn und der gewaltige Strom an kommunistischen Propagandamaterial, der aus Ungarn nach Österreich floss, unterbunden. Die Grenzgebiete  aber hatten unter der Grenzsperre schwer zu leiden. Nicht nur, dass jetzt die Industriewaren und lebenswichtige Dinge wie etwa Salz aus Österreich ausgingen - schlimmer war, dass die Wanderarbeiter und Pendler nun nicht mehr in ihre Heimatdörfer zurückkehren konnten.

Die Situation wurde immer unerträglicher, die westungarischen "Bauernschädel" begannen sich zu wehren. Die größte Gefahr sahen sie dabei in der geistigen Bedrohung, in der "Umerziehung", in der Unterstellung ihrer Schulen unter die Kultursektion. Gausekretär der Kultursektion war Ludwig Leser, der spätere Führer der burgenländischen Sozialdemokratie, dem persönlich allerdings nichts vorzuwerfen ist. Sein Eintreten vor allem für die kulturelle Autonomie der Deutschen hat ihn viel Sympathie gebracht.  Gegen die Auflösung der kirchlichen Schulen wehrten sich die Dörfer, zuerst die noch rein bäuerlichen Gemeinden des Mittelburgenlandes. Daraufhin wurde der Pfarrer von Nikitsch standrechtlich erschossen - um ein "Exempel zu statuieren". Womit man genau das Gegenteil erreichte: es kam zu regelrechten Aufständen, im Raume Lockenhaus-Güns, in St. Margarethen, Eisenstadt, Pöttsching ... Die Räteregierung setzte die brutalen "Spezialtruppen" des Tibor Szamuely ein.

Am 7. Mai 1919 sprach eine Delegation aus Westungarn bei Staatskanzler Renner und Karl Seitz, dem Präsidenten der Nationalversammlung, und überreichte eine Denkschrift: " Jetzt wütet seit Wochen eine Horde landfremder Volksverderber in dem unglücklichen Lande. Es ereignen sich täglich ungeheure Dinge. Es werden Todesstrafen vollzogen wegen geringfügiger Äußerungen und Unschuldige werden zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Jetzt brennt in aller Herzen nur ein Wunsch: Los von UNgarn!. Hin zu Deutschösterreich!"

Anfang Mai berichtete die Neue Freie Presse " In Wien sind, wie mitgeteilt wird, in den letzten Tagen zahlreiche Westungarn eingetroffen, die im Namen ihrer Gemeinden gegen die immer mehr zunehmende Anarchie in Westungarn dringend um Hilfe bitten. Die Macht in den einzelnen Gemeinden Westungarns haben zumeist arbeitsscheue und skrupellose Elemente in den Händen.Niemand ist mehr des Lebens sicher, Raub und Plünderungen sind an der Tagesordnung, Der Verkehr zwischen den einzelnen Gemeinden ist bei schwerer Strafe untersagt. Jede freie Meinungsäußerung wird mit dem Revolutionstribunal bedroht. Nur heimlich bei Nacht gelingt es den Leuten, über die Grenze auf deutschösterreichisachen Boden zu gelangen" (3.5. 1919).

Ein Demonstrationszug Ödenburger Weinbauern gegen das Alkoholverbot endete in einem Massaker. Drei Personen wurden von der Roten Garde erschossen. Vor allem Priester waren der Verfolgung ausgesetzt und wurden denunziert, etwa der Mönchhofer Stiftsverwalter Pater Adalbert Winkler, der am 8. April 1919 vor das Revolutionstribunal in UNgarisch Altenburg gestellt wurde. Auf Druck der Gemeinde musste er aber freigelassen werden. Der Nikitscher Pfarrer Anton Szemeliker wurde hingerichtet, der aus Neckenmarkt stammende Priester Franz Wohlmuth wurde gehenkt.

Der Widerstand gegen die Räte ergriff allmählich selbst deren Funktionäre. Im April 1919 fand in Ödenburg im Gasthaus Schindler eine streng vertrauliche Zusammenkunft statt, an der neben Michael Unger aus Sankt Margarethen und Adalbert Wolf aus Neusiedl auch Arbeiterführer wie Hans Suchard aus Mattersburg und der Marzer Josef Buchinger teilnahmen. Man beschloss, in der Räterepublik zunächst mitzuarbeiten, um den geeigneten Moment eines Anschlusses an Österreich besser nützen zu können.

Aber die Zeit der "Räteregierung" war längst abgelaufen. Am 1.August 1919 brach sie - nach 133 Tagen - zusammen. Westungarn konnte aufatmen. Die führenden Funktionäre flohen rechtzeitig - nach Österreich, wo man sie - sehr zum Schaden des österreichischen Ansehens in Westungarn - aufnahm. Selbst Szamueli glückte die Flucht, er hatte die Grenze bei Neudörfl schon überschritten, als er sich in einer Panikreaktion selbst erschoss. Kein Wunder, dass sich um diesen nicht gerade heroischen Tod viele Legenden rankten. Zu viele Menschen gab es in Westungarn, die ihm gerne diesen letzten Dienst erwiesen hätten.

Die Rache der "Gegenrevolution" war nicht minder brutal: nach einem österreichischen Bericht "wurden in Ödenburg in der Zeit vom 29. August bis 9. September seitens des Militärkommandos 500 Verhaftungsbefehle ausgestellt, welche sich gegen die gewesenen Arbeiterräte, Vertrauensmänner und Obmänner der Fachorganisationen richteten. Die Verhafteten wurden in einzelnen Gruppen, so am 29. August 164 Mann, am 1. September 60, am 4. September 70 Mann nach Steinabrückl in das Zuchthaus abgeliefert. Einzelne Verhaftete, so z.B. der ehemalige regierungskommissar Kellner und der Sekretär der sozialdemokratischen Partei Gabriel Knapp wurden auf dem Transport erschlagen"

zitiert nach: Um Freiheit und Brot. Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945. Eisenstadt 1984. S.35

Die Folgen der Räteherrschaft waren katastrophal. Jetzt kam mit dem Horthy -Regime eine Regierung, die zusammen mit den "Roten" auch gleich alle deutschen "Vaterlandsverräter" verfolgte. Vor allem aber bekamen jene vor allem in den Kirchen und in den christlich orientierten Parteien Auftrieb, die im neuen Ungarn einen Garanten gegen alle linken Experimente sahen. Die Christlichsozialen und die Kirchen wurden zu Bollwerken gegen den Anschluss an Österreich.

 

 

 

 

 

 

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Quellen

  • Um Freiheit und Brot. Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945. Eisenstadt 1984.
  • Landestopographie, Bd. III/1, Bezirk Mattersburg
 
 
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